Berggipfel

20.10.2023

Aktuell läuft eine interessante Diskussion zwischen Eberhard Jurgalski und Reinhold Messner über die wahren Berggipfel. Eberhard Jurgalski stellt in Frage, ob Reinhold Messner wirklich als erster Bergsteiger alle 8000er Gipfel bezwungen hat oder ob er bei der Annapurna (8091 m) nur auf einem Nebengipfelchen oder einer Schneewächte gestanden hat. Um diesen Sachverhalt zu klären, muss zunächst allerdings klar sein, was überhaupt ein Gipfel ist und wo der höchste Punkt liegt.

Dominanz und Prominenz

Wie definiert sich die wahre Größe eines Berges? Mit geowissenschaftlichen Kennzahlen wie Dominanz und Prominenz sowie entsprechenden Formeln lässt sich bestimmen, wie bedeutsam ein Gipfel ist. Aber nicht nur die Zahlen machen einen Gipfel berühmt. Letztendlich bestimmt der Mensch, was ihm gefällt.

Vergleicht man Berglisten wie z.B. die Liste aller 4000er in den Alpen, dann stellt man fest, dass es hier große Unstimmigkeiten und eine Vielzahl unterschiedlicher Listen gibt. Dies liegt daran, dass bis vor Kurzem nicht eindeutig klar war, was denn nun ein eigenständiger 4000er ist. Soll der Gipfel besonders schön ausschauen, muss der Berg freistehend sein oder gibt es eventuell noch andere Kriterien, die einen 4000er ausmachen?

Erst in neuerer Zeit wurden Begriffe wie Dominanz und Prominenz eingeführt, die eine eindeutige Klassifizierung der Berge zulassen.

Dominanz

Der Begriff Dominanz stammt aus der Geographie und beschreibt, in welchem Umkreis ein Berg der Höchste ist. Er "dominiert" seine Umgebung. Die Dominanz eines Berges lässt sich mathematisch als der Abstand zum nächstgelegenen, gleichhohen Punkt am Fuß oder Hang eines höheren Berges definieren. Bildlich gesprochen ist damit ein Berg mit Dominanz x km die höchste Erhebung im Umkreis von x km. Um die Dominanz eines Berges zu bestimmen, misst man den Minimalabstand des Gipfels zur nächsten Höhenlinie gleicher Höhe eines höheren Gipfels.

Prominenz

Wenn ein Berg die Scharte, zu der man mindestens absteigen muss, um zum nächsthöheren Gipfel zu gelangen, deutlich überragt, dann ist der Berg prominent. Er "sticht" also aus seiner Umgebung heraus.

Die Prominenz oder Schartenhöhe, auch Schartentiefe, relative Einsattelung oder Höhe über Isohypse genannt, ist damit ein Maß für die Selbständigkeit eines Berges. Neben der bereits beschriebenen Dominanz ist sie das zweite wichtige Kriterium, um einen Berg als solchen zu klassifizieren. Je größer die Schartenhöhe ist, desto freistehender wirkt ein Gipfel im Gelände. Bei einer wenig ausgeprägten Erhebung, etwa auf einem Grat oder Plateau, ist die Schartenhöhe dagegen vergleichsweise gering, und man spricht dann von einem Nebengipfel oder einer Graterhebung.

Während die Dominanz in direkter Linie zum nächsten höheren Gipfel gemessen wird, wird die Schartenhöhe entlang dem Kammverlauf gemessen. Die Bezugsberge für die Schartenhöhe sind nicht zwingend dieselben wie für die Dominanz.

Per Konvention wird die Schartenhöhe des höchsten Berges der Erde, des Mount Everest, entsprechend seiner Höhe über dem Meer zu 8848 m festgesetzt. Korrespondierend zur Schartenhöhe des Mount Everest wird auch der Meeresspiegel in diesem Sinn als Scharte angesehen. Damit wird die Definition auch auf die höchsten Berge der Kontinente außerhalb der eurasischen Landmasse und auf Inseln erweitert: Wenn man sich vorstellt, dass der Meeresspiegel solange steigt, bis der betreffende Gipfel durch das Wasser von allen höheren Gipfeln getrennt ist, so entspricht die Schartenhöhe gerade der Höhe der so entstandenen Insel, die den Gipfel trägt. Die für die Bestimmung der Schartenhöhe maßgebliche Einschartung ist die Landzunge, die bei diesem angenommenen Anstieg des Wassers als letztes im Meer versinkt.

Mit Ausnahme des höchsten Berges einer Landmasse existiert für jeden Berg genau eine Bezugsscharte. Umgekehrt kann jede Scharte nur für einen bestimmten Berg als Bezugsscharte gelten.

Der wahre Gifpel

Betrachtet man nur die Dominanz und Prominenz eines Berges, dann fallen etliche herausragende Berge durch das mathematische Raster. So ist z.B. das Matterhorn (4478 m) nicht unter den 20 prominentesten Gipfeln der Alpen zu finden, der Säntis (2501 m) hingegen schon. Das liegt daran, dass man zum Liskamm (4532 m), der der nächsthöhere Gipfel zum Matterhorn ist, "nur" 1043 Höhenmeter absteigen muss. Beim Säntis hingegen muss erst einmal ein 2015 Meter tiefer gelegenes Seitental des Rheins durchquert werden, um zum nächst höheren Gipfel - dem 25.78 km entfernten Magerrain (2523 m) - zu gelangen.

Die Höhenbestimmung eines Berges hat also ihre Tücken. Besteigt man einen hohen Berg, so ist der Gipfel oft auch schneebedeckt. Trägt nun auch die Schneedecke bei der Höhevermessung des Berges bei, denn schließlich muss diese ja auch "bestiegen" werden?

Und wie schaut's mit den Referenzflächen aus? Für Westeuropa ist dies meist Normalnull (NN), also der Pegel von Amsterdam. Andere traditionelle Referenzflächen sind u. a. die Pegel von Genua, Königsberg (Kaliningrad), Kronstadt (Russland) und Marseille. Der Unterschied zwischen Normalnull und dem Pegel bei Genua beträgt z.B. – je nach Lage im regionalen Höhennetz – bis zu 30 cm.

Ein weiterer nicht zu vernachlässigender Punkt ist der zugrunde liegende Geoid. GPS basiert auf einem idealisierten mathematischen Modell, dem Ellipsoid. Das Geoid kann vom Rotationsellipsoid bis zu ±100 Meter abweichen. Hat man also mittels GPS einen Höhenwert ermittelt, muss man die Differenz zwischen Geoid und Ellipsoid berücksichtigen.

Und zu guter Letzt spielt auch das Höhenmessgerät sowie dessen Kalibrierung eine entscheidende Rolle. Bei der GPS-Vermessung der Mount Everest im Jahre 2004 wurden all dieses Punkte beachtet und ein Wert von 8848,82+-0,23 Meter für dessen Höhe ermittelt: Der absolut höchste Punkt wurde mit 8852,12+-0,12 Metern ermittelt. An dieser Stelle war der Fels darunter 8848,40 Meter hoch, die Schneedecke damit 3,72 Meter mächtig. Der höchste Felspunkt betrug 8848,82+-0,23 Meter und lag etwa 1,15 Meter nördlich vom oben genannten Punkt.

Wer war nun ganz oben?

Zum einen sollte zunächst geklärt werden, welchen Punkt Eberhard Jurgalski als höchste Erhebung der Annapurna definiert hat. Schließlich war er ja nicht oben auf dem Berg und hat Vermessungen durchgeführt. Soweit bekannt, wurde von Jurgalski der Gipfel anhand von Satellitenbildern und der gleichen festgelegt. Aber ist dies wirklich der höchste Punkt? Korrekt wäre es doch, zunächst den höchsten Felspunkt wie bei der Vermessung des Mount Everest zu bestimmen. Danach kann man immer noch schauen, ob nicht ein paar Meter weiter eine Schneewehe ein paar Meter höher ist. Da wir heute nicht mehr mit Gewissheit belegen können, wie die Schneelage vor 25 Jahren war, als Reinhold Messner und Hans Kammerlanden den Gipfelgrat mit seinen Wechten erreichten, würde ich sagen, dass der Annapurnagipfel bestiegen wurde.

Als Abschluss seien folgende Worte aus Bergsteigen.com zitiert: "Bei der nächsten Bergwanderung in den Alpen heißt es ab sofort, genau aufpassen. Denn auch die Gipfelkreuze stehen oft nicht an der wirklich höchstgelegenen Stelle. Und was ist wenn ich als Gipfelstürmer drei Meter vor dem Kreuz stehen bleibe? Natürlich waren wir alle auf dem Gipfel, genauso wie Reinhold Messner und Hans Kammerlander auch im Jahr 1985 auf dem Gipfel der Annapurna gestanden sind. Warum? Weil das für uns heute und für Messner/Kammerlander damals im guten Glauben der höchste Punkt war und es auch leicht möglich gewesen wäre, den vermeintlich höheren Punkt ohne großen Aufwand zu erreichen."

Tags: Gipfel, Wahrer Gipfel, Bergspitze, Höchster Punkt, Dominanz, Prominenz

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