Quantenphysikalische Betrachtungen

24.10.2024

Anhand von eigenartigen Leuchttürmen auf fernen Planeten soll beispielhaft verdeutlicht werden, was es mit der spukhaften Fernwirkung und der ominösen quantenphysikalischen Verschränkung auf sich hat.

leuchtturm

Der eigenartige Leuchtturm

Man stelle sich eine Raumfahrtmission vor, die in einem entfernten Planetensystem einen rätselhaften Leuchtturm entdeckt. Dieser hat auf drei Seiten kleine Fenster, aus denen er seit tausenden von Jahren zu synchronen Zeitpunkten jeweils entweder ein rotes oder grünes Lichtsignal sendet. Von ihrem zufällig gewählten Standort aus können die Raumfahrer allerdings immer nur zwei Fenster gleichzeitig beobachten. Nach einiger Zeit stellen sie fest, dass sie bei jeder Beobachtung IMMER unterschiedliche Farben sehen. Es kommt nie vor, dass zwei mal Rot oder zwei mal Grün beobachtet wird...

Da zwei Farben auf drei Fenster verteilt werden, MUSS eine Farbe zwingenderweise immer doppelt ausgestrahlt werden. Dann ist aber die Wahrscheinlichkeit, dass zwei zufällig ausgewählte Fenster die gleiche Farbe zeigen, mindestens 1/3. Es scheint also unmöglich, sich einen Mechanismus auszudenken, der dieses Verhalten reproduziert. In diesem Szenario sind aber noch manipulative Möglichkeiten - sogenannte Schlupflöcher - vorhanden. So könnte z.B. ein Leuchturmwärter, der heimlich feststellt, von welchem Standort aus die Raumfahrenden den Leuchtturm beobachten, die Lichtsignale entsprechend fälschen.

Weitere Leuchttürme und die unmöglichen Lichtsignale

astronaut

Zu ihrer Überraschung entdecken die Raumfahrer auf drei voneinander weit entfernten Planeten jeweils einen weiteren Leuchtturm. Jeder dieser Türme sendet zu gleichen Zeitpunkten entweder ein rotes oder grünes Signal aus. Zur Beobachtung der Leuchttürme werden drei Personen mit synchronisierten Uhren auf die Reise zu den Planeten geschickt. Bevor sie sich trennen, vereinbaren sie, wer zu welcher Zeit seinen Leuchtturm beobachten wird. Sie vereinbaren das aber so, dass jeweils nur zwei Messungen gleichzeitig durchgeführt werden und ihre Beobachtunsgeräte nur eine Millisekunde vor der Messung aktiviert werden. Die Planeten sind dabei soweit voneinander entfernt, dass ein Signal, das sich mit Lichtgeschwindigkeit ausbreitet, auf jeden Fall länger als eine Milisekunde unterwegs ist, um die Strecke zwischen zwei Leuchttürmen zurückzulegen. Während den Messungen findet keine Kommunikation zwischen den Raumfahrern statt und erst wenn sie sich wieder treffen vergleichen sie ihre Protokolle. Erneut stellen sie fest, dass stets verschiedene Farben beobachtet wurden.

Nun scheint es unmöglich, sich einen Mechanismus zu überlegen, der dieses Verhalten reproduziert: Aufgrund der Entfernungen müssten die Lichtsignale eigentlich unabhängig voneinander sein, was aber im eklatanten Widerspruch zu den empirischen Beobachtungen steht, bei denen in abertausenden von Wiederholungen niemals zwei gleiche Farben beobachtet werden! Und man ahnt es schon: Genau solch ein seltsames "nichtlokales" Verhalten wird in entsprechenden quantenmechanischen Versuchen mit verschränkten Teilchen beobachtet!

Verschränkte Teilchen

Sind zwei Teilchen quantenverschränkt, macht es keinen Sinn, sie getrennt voneinander zu beschreiben. Auch wenn man über den Zustand dieses Zwei-Teilchen-Systems perfekt Bescheid weiß, kann man über den Zustand eines einzelnen Teilchens keine eindeutige Aussage treffen. Man könnte sagen: "Die Teilchen haben keine individuellen Eigenschaften, sie haben nur gemeinsame Eigenschaften. Sie gehören mathematisch gesehen fest zusammen, auch wenn sie sich an zwei völlig unterschiedlichen Orten befinden."

Bei Versuchen mit verschränkten Teilchen geht man davon aus, dass sich der quantenmechanische Zustand über alle beteiligten Teilchen erstreckt, auch wenn diese beliebig weit voneinander entfernt sind. Dies bedeutet, dass keines der Teilchen einen definierten Zustand hat, bis entweder eines davon gemessen wird oder ihr quantenmechanischer Zustand (z.B. durch äußere Einflüsse) gestört wird.

Die Veränderung eines quantenmechanischen Zustands durch eine Messung bezeichnet man als Kollaps der Wellenfunktion. Bis heute ist dieser Vorgang Gegenstand vieler kontroverser Diskussionen. Während man durch den vor der Messung vorliegenden Zustand nur Wahrscheinlichkeitswerte für das Auftreten der verschiedenen Ergebnisse angeben kann, nimmt das Objekt nach der Messung einen Zustand ein, der den gerade gemessenen Wert eindeutig festlegt. Da angenommen wird, dass der Kollaps unstetig und augenblicklich stattfindet, bleibt unklar, wie und wann genau die Zustandsreduktion erfolgen soll und was ihre physikalische Ursache ist. Trotz intensiver Forschungsarbeit ist dies immer noch eine offene Fragestellung in der Quantenphysik und es bleibt damit auch ungeklärt, inwieweit ein instantaner Kollaps der Wellenfunktion einen realen physikalischen Vorgang beschreibt.

Wird ein quantenmechanischs System gestört kommt der Effekt der Dekohärenz ins Spiel. Dekohärenzeffekte ergeben sich, wenn ein bislang abgeschlossenes System mit seiner Umgebung in Wechselwirkung tritt. Dadurch werden sowohl der Zustand der Umgebung als auch der Zustand des Systems irreversibel verändert und eine Messung des quantenmechanischenn Systems im ursprünglichen Sinn ist meist nicht mehr möglich.

Lokalismus, Realismus und echter Zufall

Die Quantenmechanik wurde bereits in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts formuliert und einer ihrer Begründer - Erwin Schrödinger - hatte schon damals eine Vorahnung: Er bezeichnete die Verschränkung als "Essenz der Quantenphysik". Abert Einstein konnte dieses Verhalten nicht glauben und lehnte die ominöse Verschränkung und die damit zusammenhängende spukhafte Fernwirkung ab. Er vertrat die sogenannte Form des lokalen Realismus.

Lokalismus: Keine Wirkung kann sich schneller als mit Lichtgeschwindigkeit ausbreiten.
Realismus: Es gibt keine erkennbare Wirklichkeit, die unabhängig vom menschlichen Denken existiert oder etwas physikalischer formuliert: Das Ergebnis jeder denkbaren Messung steht schon fest, bevor es durch die Messung bekannt wird.

Zum Realismus meinte Albert Einstein einst in einer Diskussion mit Nils Bohr: "Sie glauben doch nicht, dass der Mond nicht existiert, wenn keiner hinschaut." Bohr erwiderte nur: "Beweisen sie mir das Gegenteil!"

Zufall: Zudem scheint es auf quantenphysikalischer Ebene echten Zufall zu geben. Für ein einzelnes Quantenereignis gibt es keine Ursache. Es passiert zufällig. Dass es für den Ausgang eines Quantenereignisses keine Kausalität im Sinne eines Ursache-Wirkungs-Prinzips gibt, konnte Albert Einstein ebenfalls nicht glauben und drückte das mit den Worten "Gott würfelt nicht" aus. Er war der Überzeugung, dass das seltsame Verhalten verschränkter Quantenobjekte nur eine Folge von bisher unbekannten Eigenschaften dieser Objekte ist, wobei lokale verborgene Variablen festlegen, wie sich das Quantenobjekt bei einer zukünftigen Messung verhält. Gäbe es diese lokalen verborgenen Variablen, dann würden die Wahrscheinlichkeitsaussagen der Quantenmechanik lediglich die Unkenntnis dieser Variablen ausdrücken und das Modell der Quantenmechanik wäre noch unvollständig.

John Bell und seine Ungleichung

johnbell

Zum Glück hatte einige Jahre später John Bell eine geniale Idee, wie man den Sachverhalt des lokalen Realismus beweisen oder widerlegen kann. Er formulierte hierzu im Jahre 1964 eine Ungleichung, wodurch in späteren Experimenten der lokale Realismus widerlegt wurde. Es konnte nachgewiesen werden, dass sich in quantenphysikalischen Experimenten eine Wirkung entweder schneller als mit Lichtgeschwindigkeit ausbreitet (Verletzung der Lokalität) oder manche Eigenschaften von Teilchen vor der Messung noch nicht existieren (Verletzung des Realismus).

Entweder ist die Quantenmechanik also nichtlokal, weil sich der quantenmechanische Zustand über das ganze System erstreckt und Zustandsänderungen bei einer Messung instantan erfolgen oder die Quantenmechanik ist nichtreal, weil eine Messung eine Eigenschaft nicht einfach abliest, sondern erst erstellt! Die Annahme, dass die Teilchen irgendwelche Eigenschaften (über lokale verborgene Variablen) hätten, die z.B. ihre Polarisation festlegen, bevor sie gemessen werden, ist falsch. Es scheint, als wäre die statistische Beschreibung von Quantenobjekten die bestmögliche Beschreibung des Mikrokosmos – es gibt keinen inneren Mechanismus dahinter zu entdecken.

Veranschaulichung der Bellschen Ungleichung

Wir untersuchen Eigenschaften einer beliebigen Gruppe von Menschen und möchten dabei eine mathematische Ungleichung finden, die immer erfüllt sein muss, wenn die betrachteten Eigenschaften lokal und realistisch sind. Das heisst, sie sind mit den einzelnen Personen verbunden und haben keinen Einfuss auf die entsprechenden Eigenschaften anderer Personen (lokal). Weiter sind wir überzeugt, dass die betrachteten Eigenschaften auch existieren, bevor wir die Personen untersuchen (realistisch).

Beispielhaft betrachten wir binäre Eigenschaften von Personen eines Orchesters, die die Gruppe jeweils in genau zwei Untergruppen teilen. Als Eigenschaften wählen wir die Kleidung (Anzug / kein Anzug), die Haarfarbe (blond / nicht blond) und ob der Musiker Cello spielt oder nicht (Cello / kein Cello).
bellstheorem
Dabei bezeichnen wir die Anzahl der Personen, die einen Anzug tragen und blond sind als n(a,b). Unterteilen wir diese Untergruppe weiter in zwei Teile je nachdem ob der Musiker Cello spielt oder nicht, können wir folgende triviale Gleichung aufstellen:
bellstheorem
Die Abbildung zeigt den einfachsten Bell-Test mit 3 Termen. Da die zwei Teilflächen im Diagramm links als Teilfläche im mittleren und rechten Bild vorkommen (schraffierte Bereiche), gilt immer die folgende Ungleichung:

n(a,b) ≤ n(a,c) + n(b,¬c)

Anschaulich ausgedrückt besagt die Gleichung, dass die Menge der Musiker, die einen Anzug tragen und blond sind, kleiner oder gleich der Menge der Musiker ist, die einen Anzug tragen und Cello spielen PLUS der Menge der Musiker, die blond sind und kein Cello spielen.

Bells ursprüngliche Ungleichung ist komplizierter (sie enthält 4 Terme) und basiert auf einer längeren mathematischen Herleitung. Sie beruht aber wie die obige Ungleichung darauf, dass die Eigenschaften realistisch und lokal sind. Bells große Leistung war, dass er seine Ungleichung mit einem Gedankenexperiment verknüpfen konnte, das u.a. im Jahre 1982 von Alain Aspect realisiert wurde. Dabei stellte sich heraus, dass die Bellsche Ungleichung verletzt wird.

Das Experiment von Alain Aspect

Theorien verborgener Variablen wurden unter anderem von Louis de Broglie und David Bohm in den 1950er Jahren aufgestellt, um eine Vereinbarkeit von Quantenmechanik und klassischer Physik zu erreichen. Doch ein Experiment von John Clauser in den 1970er Jahren hatte die Verletzung der Bellschen Ungleichungen nachgewiesen – es blieb aber ein Schlupfloch. Alain Aspect konnte dieses in Zusammenarbeit mit Jean Dalibard und Gérard Roger im Jahr 1982 in einem Experiment mit verschränkten Photonen schließen. Dazu sorgten sie dafür, dass die Messungen am verschränkten Photonenpaar erst durchgeführt wurden, als das Paar die Quelle schon verlassen hatte.

Als Ergebnis dieses Experiments, das die Quantenmechanik bestätigt, bleiben – wie bereits erwähnt – gemäß des lokalen Realismus und seinen Voraussetzungen im Wesentlichen zwei Möglichkeiten: Es sind entweder (a) experimentell nicht fassbare Fernwirkungen am Werk oder (b) die quantenmechanische Beschreibung der experimentellen Vorgänge bedient sich eines Formalismus, dessen Objekte nicht ohne Weiteres als unmittelbare Bestandteile der Realität angesehen werden dürfen. Die letzte Ansicht entspricht übrigens der Kopenhagener Interpretation der Quantenmechanik von Niels Bohr und Werner Heisenberg.

Wie genau das Experiment letztendlich aufgebaut ist, kann auf zahlreichen Webseiten nachgelesen werden. Im Wesentlichen werden zur Widerlegung der Bellschen Ungleichung verschränkte Paare polarisierter Photonen erzeugt, die ein unterschiedliches Verhalten zeigen, wenn sie Polarisationsfilter in verschiedenen Winkeln passieren. Hierzu gibt es ein interessantes Video, das die wundersamen Aspekte von Experimenten mit Polarisationsfiltern und verschränkten Photonen anschaulich verdeutlicht.

Im ersten Teil des Videos wird das eigenartige Verhalten von Photonen im Zusammenhang mit Polarisationsfiltern gezeigt, wobei diese Versuche auch zuhause mit einfachen Mitteln nachvollzogen werden können. Im zweiten Teil des Videos wird ab 08:45 auf ein mögliches Schlupfloch hingewiesen. Anschließend wird erklärt, wie das Schlupfloch anhand von Versuchen mit verschränkten Teilchen geschlossen werden kann.

Entsprechende Experimente wurden immer weiter vereinfert, bis im Jahre 2015 von drei unabhängigen Forschergruppen in Delft, Wien und Boulder schlupflochfreie Bell-Tests publiziert wurden. Alle drei Tests schlossen sowohl das Detektions- als auch das Lokalitätsschlupfloch. Die Tests gelten als schlupflochfrei, da die verbleibenden Schlupflöcher (wie z. B. der Superdeterminismus oder wir leben in einer Matrix) auf sehr exotischen Annahmen beruhen und experimentell (noch?) nicht überprüft werden können.

Maximale Informationsdichte

Vielleicht müssen wir das Bild aufgeben, dass die Welt mit all ihren Eigenschaften unabhängig von uns existiert. Das würde bedeuten, dass wir durch unsere Entscheidungen einen Einfluss darauf haben, was die Wirklichkeit ist. Und es gibt Hinweise darauf, dass man die beiden Konzepte Information und Wirklichkeit nicht voneinander trennen darf! In seinem Buch "Einsteins Schleier" bringt Anton Zeilinger diesen Gedanken auf den Punkt: "Wirklichkeit und Information sind ein und dasselbe." Da die Information durch die Bits als kleinste Informationseinheit ebenso "gequantelt" ist wie Raum und Zeit, ist eine Übertragung der Information auf die Wirklichkeit evtl. 1:1 möglich. Das bedeutet, dass man genau so viel Information messen kann, wie die Wirklichkeit an Information bereit hält.

Und die quantenphysikalischen Versuche deuten darauf hin, dass das Universum mit verschränkten Teilchen maximal viel Information in die Welt packt ohne dabei das Informationsparadigma - keine Signalübertragung schneller als Licht - zu verletzen. Informationen könnten also die Grundbausteine des Universums sein.

Tags: Quantenmechanik, Verschränkung, Lokalismus, Realismus

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